erlebt

Donnerstag, 11. Oktober 2007

Männergespräch aufgeschnappt.

Im Aufsturz leert es sich. Vor mir steht ein durchsichtiges Glas Bier. Den letzten Tropfen habe ich soeben getrunken. Der Kellner schmeißt zum dritten Mal einen Teller oder einen schweren Aschenbecher lautstark auf den Boden. Tische werden abgeräumt. Stühle nach oben gestellt. Die Rechnung ist bezahlt. Wie spät es ist? Schon nach zwei. Nur noch kurz das stille Örtchen aufsuchen und dann geht es auf den Heimweg.
Quietschend rutscht der Stuhl unter meinem Hintern zurück und ich steuere zielstrebig auf den dunklen gang zur. An der Theke geht endlich ein Glas zu Bruch. Wohl nicht der Tag des Kellners. Beim Zahlen wollte er mir auch einen Zehner zu viel abknöpfen. Ganz unauffällig, natürlich ohne Absicht. Doch nicht mit mir. Er entschuldigte sich. Vielleicht war es doch nur Unaufmerksamkeit.
Die heiligen Hallen liegen links im Gang. Die Tür schwinkt auf. Niemand da. Freie Wahl. Ich entscheide mich für Nummer drei von vier. Kaum bin ich postiert, kommt noch ein Typ. Er nimmt Nummer eins, gleich vorn in der Ecke. Er schaut zu mir rüber, nein, ich bilde es mir nur ein. Er blickt nach oben an die Decke und läßt neben dem Plätschern einen befreienden Seufzer los.

"Was für eine Wohltat. Es gibt nichts besseres. Danke Gott."
Leicht ungläubig muss ich herüber sehen. Er linst zurück. Ich nicke zustimmend.
"Man, ich glaub, ich bin besoffen. Hab ja auch allen Grund dazu. Vorgestern hat mich meine Freundin verlassen. Aber Scheiß drauf. Jetzt will ich nur eins. Wasser lassen."
Er steht da, blickt wieder nach oben. Zwischen uns ist ein anderes Becken. Trotzdem kann ich grad nicht. Zur Ablenkung frage ich ihn, wieviel er denn getrunken habe.
"Ich? ... puhhh ... warte kurz ... 3 Bier. 2 Longdrinks. Das wars schon. Früher war ich auch mal besser."
Ich sage, dass das doch schon ganz ordentlich sei, erwähne aber nicht, dass ich nur eine große Bitter Lemon getrunken habe. Wegen dem Auto. Inzwischen ist er fertig geworden und geht sich die Hände waschen. Halb über die Schulter rufe ich hinterher, dass er trotzdem noch gut auf den Beinen steht. Man merkt ihm dem Pegel, abgesehen von der Redseligkeit einem Fremden gegenüber, nicht an. Er lacht und freut sich.
"Danke, Kumpel."
Endlich habe ich es auch geschafft. Er steht vor dem Trockner, dem Fön für die Hände, und schimpft.
"Ich hasse diese Dinger!"
Er hält seine Hände immer wieder unter das Gerät. Es heult kurz auf, bläst warme Luft und verschluckt sich. Er zieht die Hände zurück und schiebt sie wieder darunter.
"Warum gibt es hier keine Papiertücher?"
Neben dem Waschbecken steht eine leere Rolle Klopapier. Er ist nicht der erste, der sich darüber aufregen kann. Ich spüle meine Hände mit kaltem, klarem Wasser ab, schüttele sie über dem Becken, und sage ihm, dass es auch so gehen müsse.
"Ah, ich verstehe."
Er verschwindet und gesellt sich zu seinen zwei Kumpanen an den Tisch. Ob sie auch von Liebeskummer geplagt werden? Ob sie ihren Schmerz im Alkohol ersäufen? Oder ob sie schon brennende Ohren haben?
Mit einem Abschiedsgruß und einem Lächeln ziehe ich am Tisch vorbei und entschwinde in die Nacht.

Mittwoch, 10. Oktober 2007

Knallpoeten.

Es ist dunkel. Es ist kühl. Ich laufe halb umher irrend durch die Stadt, auf der Suche nach dem richtigen Weg zum Bahnhof Friedrichstraße. Irgendwie muss ich leicht die Orientierung verloren haben. Gartenstraße. Das ist niemals der kürzeste Weg. Die Uhr zeigt schon Viertel nach Neun. Die verabredete Zeit war um neun Uhr. Ich kommte hoffnungslos zu spät. Mein schlechtes Gewissen meldet sich. Ich schiebe es beiseite, erinnere mich, dass meine Verabredung gern auf dem letzten Drücker erscheint, laufe weiter, renne fast, schaue, und entdecke endlich einen markanten, bekannten Punkt. Die Synagoge in der Oranienburger Straße. Ich bin total vom Weg abgekommen. Aber jetzt weiß ich endlich, wo ich mich genau befinde. Nun ist es auch nicht mehr so weit. Ich erreiche die Friedrichstraße und folge ihr bis zum Bahnhof.

Vor dem Zeitungsladen ist die gesuchte Person nicht zu sehen. Bin ich doch zu spät? Ja, ich bin. Es ist fast halb, dennoch bleibt ein Hoffnungsschimmer. Ich laufe alle Bücherreihen und Regale ab, in der Annahme, sie beim Schmökern in einem Buch oder einer Zeitschrift zu finden. Ergebnislos. Sie ist nicht da. Nicht mehr da. Ich stehe vor dem Laden, verweile noch einen Augenblick, ein paar Minuten noch und durchforste nebenbei mit einem Auge und halbem Interesse die reduzierten Exemplare auf dem Grabbeltisch.
Dann bin ich mir sicher, dass sie ohne mich gegangen ist. Schade um die Freikarte, die sie mir schenken wollte, denke ich. Vielleicht hat sie ja einen anderen am Eingang gefunden, einen Wildfremden angesprochen und ihn mit in die Vorstellung genommen. Der oder die Glückliche. Wäre die verdammte Parkplatzsuche nicht gewesen [bekanntlich habe ich im Moment keinen Fahrschein und wollte diesen auch nicht für Hin- und Rückfahrt für 4,20 Euro erwerben], die fast eine halbe Stunde dauerte und mich schließlich bis zum Nordbahnhof führte, bevor ich fündig wurde. Zwei S-Bahnstationen im abseits, bloß um ebenfalls keine Parkgebühr, die dem entbehrten Fahrschein nahezu gleich gekommen wäre, entrichten zu müssen.

Ich blicke mich ein letztes Mal um, bevor ich mich notgedrungen zu einem Nachtspaziergang durch Mitte entschließe, als ein merkwürdig bekanntes Gesicht in mein Sehfeld rückt. Der ältere Herr steuert genau auf den Zeitungsladen zu, vor dessen Eingang ich stehe. Er sieht mir direkt in die Augen. Ich glaube, er hat gemerkt, dass ich ihn irgendwoher kenne. Ich wende mich ab, schaue mich weiter suchend um, behalte ihn im Augenwinkel. Nun steht er vor dem Grabbeltisch mit einer prall gefüllten Netto-Tüte in der Hand. Er trägt einen langen grauen Mantel, eine Brille und lichtes Haar. Sein Blick war sympathisch. Doch woher kommt er mir bekannt vor. Film? Fernsehen?

Mein Name wird laut gerufen. Ich drehe mich unerwartet herum und meine Verarbredung steht vor mir. Etwas außer Atem, mit einem entschuldigenden Blick wegen der argen Verspätung von einer halben Stunde. Erleichterung. Ein Stein purzelt mir vom Herzen. Wir sind beide fast gleich zu spät, die Freikarte ist da, der Abend gerettet.
Und da dämmert es mir. Tatort. Na klar. Der ältere Herr ist ein Kommissar. Ich bin nicht ganz sicher, aber ich glaube, es ist Kommissar Schmücke oder dessen Partner. Und nun geht es endlich in den Admiralspalast.

Da die Vorstellung schon um 20 Uhr begonnen haben soll [und um 17 Uhr die Vorrunden?], habe ich Angst, dass wir beide nun nur noch den letzten Beifall des Siegers erleben werden. Am Einlass verzögert es sich einen Moment. Wir müssen auf die Dame mit der Gästeliste warten. Als sie erscheint, sagt meine Begleiterin nur, dass sie bei der TAZ zwei Freikarten gewonnen habe, und ohne Überprüfung eines Namens oder Vorlegen eines Ausweises werden wir eingelassen.
Ein Blick von der unteren Etage in den Saal zeigt, dass dieser brechenvoll ist. Jubelnde Schreie vom Publikum für den Vortragenden auf der Bühne. Nur auf der Empore lassen sich vereinzelt freie Plätze erspähen. Wir versuchen unser Glück in der zweiten Etage. Doch die Tür mit einer Nummer ist verschlossen. Meine Begleiterin steuert daraufhin auf einen mit Loge beschrifteten Eingang zu. Er öffnet sich und wir finden uns hinter einem schwarzen Vorhang auf einem Einzelbalkon seitlich über der Bühne wieder. Die ganze Kabine nur für uns. Was solls, besser als nichts und langes Suchen. Wir sind die einzigen, die in solch einer Kabine sitzen. Vermutlich ist sie sonst auch abgeschlossen.
Zwei Klappstühle und ein dreckiger Tisch bilden das Möbiliar. Türme aus Bierdeckeln und dicker Staub zieren die Tischoberfläche. Im Dunkeln wirkt der kleine Raum wie eine Abstellkammer. Eine Baustelle. Der Blick auf die Bühne geht links steil nach unten. Man muss sich dazu halb über die Ballustrade lehnen. Etwas unbequem. Aber es geht. Das Publikum erstreckt sich nach rechts. Wir sehen. Und werden gesehen. Und wir hören.

Dank der Freikarte komme ich in den Genuss, zum ersten Mal einen großen Poetry-Slam-Wettbewerb mitzuerleben. Der Admiralspalast fast knapp 2000 Leute. Und das Haus ist so gut wie ausverkauft. Die Stimmung ist phänomenal. Das Publikum tobt. Es wirkt so unecht. Übertrieben. Jeder der Slammer, also diejenigen, die am Wettbewerb teilnehmen und maximal fünfmenütige Texte vortragen, hat seine eigene Fangemeinde angekarrt.
11 Teilnehmer haben es in die Endrunde geschafft, darunter nur eine Frau. Wir sind gerade rechtzeitig zum großen Finale. Die Bewertung erfolgt einerseits durch den Applaus des Publikums (50%) und die Wertung von 12 Juroren, die zufällig im Publikum ausgewählt wurden. Nach jedem Beitrag singt Sebastian Krämer, der die Veranstaltung moderiert, "Jury Wertung bitte jetzt!", bevor die Wertungen eingesammelt werden. Meist trifft er die Töne nicht so ganz. Es klingt schräg zusammen mit der Begleitung durch das Piano. Das gehört scheinbar dazu. Das ist Programm. Denn auch die Texte der Teilnehmer sind teilweise arg schräg. Die meisten versuchen, belustigend zu sein. Eine kleine Comedy-Show in fünf Minuten. Es gibt gute Texte und normale Texte. Sie sind eher langweilig. Die normalen. Manche setzen auf den Inhalt, den Witz. Andere auf das Zusammenspiel von Wort und Stimme. Wenige versuchen sogar mit schauspielerischem Talent ihrer Aussage Kraft zu verleihen. Aber allesamt verdienen sie den Respekt, vor so vielen Leuten etwas vorzutragen.
Dennoch gibt es einen leicht bitteren Beigeschmack. Das gesamte Spektakel wirkt wie eine Abiturveranstaltung, inszeniert, nicht wie ein Wettbewerb. Im Publikum sitzen Eltern, Freunde, Verwandte und feuern ihren Slammer lautstark an. Sie jubeln. Sie schreien. Sie stampfen mit den Füßen auf den Boden. Egal was komme. Das Publikum feiert sich selbst und ihre kleinen Helden. Die Helden da unten auf der Bühne im Rampenlicht. Und ich zweifle einen Moment, frage mich, wonach hier überhaupt bewertet wird. Ob es um den literischen Wert der Texte geht oder nur um Show und Fans. Das finale Stechen der besten 3 aus der Endrunde enttäuscht. Es gewinnt genau derselbe, der den Preis auch schon im letzten Jahr gewann. Dabei waren allerhand Texte dabei, die seine um Längen übertrafen. Er hatte den Gewinner-Bonus vom letzten Jahr und zahlreiche Verehrer auf den Sitzen. Aber ich hatte meinen Spaß. Spaß für lau. Und habe eine Meinung zum Thema gefunden: jeder, wirklich jeder, der etwas schreiben und sich gut darstellen kann, hat eine Chance, beim Poetry-Slam ein kleiner Star zu werden. [Damit möchte ich auch einer ganz besonderen Dame Mut machen ;-) ... und Damen gibt es bisher wohl eher wenige in diesem Metier, also, das sollte sich ändern!]

Mehr Infos zum Poetry-Slam findet man unter www.poetry-slam-portal.de.

Sonntag, 7. Oktober 2007

Rundwanderweg Marzahn (Teil 1).

Es ist Freitag Nachmittag und das Wochenende winkt dem arbeitstätigen Volk freudig mit beiden Armen zu. Bisher zähle ich noch nicht zu dieser Gruppe, was mir aber keinen Anlass gibt, nicht die Aussicht auf zwei geruhsame Tage in der hin und wieder hektischen Großstadt zu genießen.
Kurz vor halb vier. Ich stehe an meinem Fenster und blicke in den weiten, bunt verfärbten Innenhof. Sogar die Sonne traut sich ein Stück zwischen den Wolken hervor und ich beschließe, dass es ein hervorragender Moment für einen genügsamen Herbstspaziergang ist. Ich ziehe mir eine olive Strickjacke und eine braune Kordjacke über mein Shirt, um vor eventueller Kälte gut geschätzt zu sein. Den Rucksack lasse ich daheim, um unnötigen Balast zu sparen, alles Notwendige stecke ich in die Taschen meiner Jeans. Schlüssel. Mp3-Player. Handy. Taschentücher. Den Apfel, den ich als schmale Wegzehrung für den kleinen Hunger vorgesehen hatte, lasse ich da. Er beult die Jackentasche aus und behindert mich so beim Laufen, wenn die Arme in mäßigem Tempo vor und zurück schwingen. Einen 5-Euro-Schein nehme ich sicherheitshalber auch noch mit. Man kann nie wissen. Und zuletzt, womöglich das wichtigste Stück für den Spaziergang, klemme ich mir einen Schrittzähler an meine rechte Hosentasche. Für jeden Schritt, den ich damit mache, hüpft eine kleine Kugel im Inneren auf und nieder und gibt den aktuellen Zählstand auf einer fünfstelligen digitalen Anzeige aus. Maximal 99999 Schritte sind so möglich, bevor es erneut bei 0 beginnt.
Nachdem ich diese ganzen Bücher über verschiedene Wanderungen von Berlin nach Moskau, von Paris nach Berlin und von Hamburg nach München vor ein paar Wochen gelesen habe, war ich schon auf der Suche nach diesem Gerät. Ich wusste, dass es irgendwo in meinen Schränken verborgen liegen musste. Als ich es dann fand, erinnerte ich mich, dass ich es schon jahrelang besaß. Womöglich von der ersten internationalen Funkausstellung, die ich in Berlin Mitte der 90er Jahre besuchte. Umso größer war die Verwunderung. Denn die Batterie lief noch einwandfrei.

Der Zähler zählt. Ich schaue regelmäßig auf meine rechte Hüfte und behalte die fortlaufenden Zahlen im Auge. 12, 13, 14 ... 100. 200. 300. 400. 500 Schritte schon. Kaum aus der Haustür und an der großen Hauptstraße gelandet. Ich biege in die kleine Gartensiedlung ein und bin froh, dass der Lärm der großen Straße verblasst. Die Bäume riechen welk, das herab gefallene Laub vermodert auf dem feuchten Boden. Die Luft ist frisch. Mein Gehirn dröhnt, die Adern pochen und Kopfschmerzen fressen sich durch meinen Schädel. Die frische Luft tut so gut. Meine Augen sind von den vielfarbigen Eindrücken des Herbstes überlastet. Das Bild vor Augen gerät ins Wanken. Die Kopfschmerzen werden stärker. Ich bleibe eisern, beschleunige meinen Schritt. Die Hitze kriecht die Wirbelsäule entlang. Schweiß. Meine Kondition ist gleich null.
Ich erreiche noch einmal eine Hauptstraße, warte an der Ampel, bis sie mich mit einem grünen, aufleuchtenden Männchen über den Asphalt bittet. Die vorerst letzte Straße. Jetzt wird es mit jedem Tritt ruhiger. Der Himmel ist mir wohlgesonnen, spendet Wolken und Sonnenschein in unregelmäßigem Takt. Vor mir liegt der erste Berg meiner Rundreise.

Der Hauptweg schlängelt sich mühsam im Kreis herum den Hang hinauf. Viel zu lang, denke ich. Viel zu langweilig. Nach einem guten Kilometer, der hinter mir liegt, strotze ich geradezu vor Kraft und wähle den direkten Weg. Ein Trampelpfad im Gebüsch ist schnell gefunden. Geradewegs gerichtet auf die Kuppe des Kienbergs mit 101 Metern Höhe.
Zum Glück hat es in den letzten Tagen kaum geregnet. Der Pfad ist trocken und rutschfest. Nur Zweige schnellen mir ab und an ins Gesicht, wenn ich im Eiltempo, mit nach untem gerichteten Blick, den Hang erklimme. Geröll, Steine, Wurzeln muss ich umgehen, um immer sicheren Tritt unterm Schuh zu haben und nicht rückwärts zu rutschen.
Auf halber Strecke entledige ich mich meiner Kordjacke. Ich schwitze wie sau. Unter den Arm geklemmt geht es schnurstracks weiter nach oben. Weit kann es nun nicht mehr sein. Ich höre schon miteinander sprechende Stimmen. Es wird lichter und hinter den letzten Sträuchern ist der reine Himmel zu sehen. Ich habe es geschafft. Steige aus dem Gebüsch hervor und befinde mich auf dem Plateau. Zwei Mädchen, deren Stimmen ich hörte, sitzen auf der stählernen Aussichtsplattform. Mein erstes Ziel ist erreicht. Ich blicke mich kurz um. Schaue über Marzahn. Und nach Hellersdorf. Dann geht es sofort weiter, noch brauche ich keine Pause.

Während ich für meinen Aufstieg den schmalen Pfad über Stock und Stein, eine rasante Abfahrtsstrecke für Mountainbikes, gewählt habe, arbeite ich mich nun Schritt um Schritt auf einer breiten, wildgrasbewachsenen Schneise abwärts. Im Winter, wenn Berlin von einigen Zentimetern Schnee heimgesucht wird, treiben sich hier Kinder und Väter herum, um vom Hang hinabzurodeln. Er ist zwar nicht so steil, aber ich glaube fast, dass er bei genügend Schnee auch zum Snowboarden für Anfänger wie mich geeignet wäre.
Am Fuße des Kienbergs lasse ich links den Erholungspark Marzahn mit seinen wunderschönen Gärten der Welt liegen. Dafür ist keine Zeit. Der Weg ist weit.

Erneut muss ich eine stark befahrene Straße queren, bevor ich wieder ins Gestrüpp eintauchen kann. Normalerweise war die andere Seite immer mit einem Zaun abgesperrt, so dass ich einen leichten Bogen entlang der Straße hätte machen müssen. Aber im Zaun fehlen einige Elemente, und ein vage angetretener Pfad ist auch zu erkennen. Also nichts wie geradewegs hinein.
Die Vorfreude über den gesparten Umweg währt jedoch nur kurz. Der Weg verzweigt in mehrere Richtungen und allesamt sind unbrauchbar. Ein Umkehren kommt nicht in Frage. Ich versuche, den angenehmsten Pfad zu finden, durch unwegsames Gestrüpp, Brennesseln, Dornensträucher und Disteln. Meine Jacke hatte ich längst wieder angezogen, um besser geschützt zu sein. Zudem muss ich acht geben, um nicht ausversehen im Schlamm stecken zu bleiben. Keine leichte Aufgabe, denn der Boden ist mit hüfthohen Gräsern und etlichem Unkraut bedeckt.
Schon bald werden die dornigen Büsche weniger, weit ausladende, hohe Bäume gewinnen die Oberhand. Rechts von mir läuft das kleine Rinnsal der Wuhle, das die Grenze zwischen Marzahn und Hellersdorf bildet. Für mich geht es weiter nach Norden, nur wenige Meter neben der Wuhle ihr folgend. Die Bäume schaffen bizarre Gebilde und laden mit ihrem Geäst geradewegs zum Klettern ein. Ich suche mir den nächstbesten, befinde mich zwei, drei Meter in der Höhe und höre plötzlich Kinderstimmen aus dem Urwald, den ich gerade hinter mir gelassen habe. Ich lasse vom Baum ab und setze meinen Weg fort. Was hätten die Kinder nur gedacht, von einem scheinbar Erwachsenen, hängend in einer Baumkrone.
Je weiter ich komme, desto mehr offenbart sich der Waldstreifen am Flüsschen als wahrer Abenteuerspielplatz. Es gibt zusammen genagelte Baumhäuser in den Baumkronen. Zerstörte Baumhäuser. Hütten auf dem Boden, bedeckt mit Plastikfolien. Zerstörte Hütten. Und sogar tief gebrabene Löcher, ehemals mit Absperrgittern und Ästen bedeckt. Zerstörte Löcher. Insgesamt mindestens zehn Stück. Alle zerstört. Verwüstet. Als hätte es hier einen Bandenkrieg gegeben.

Der Waldstreifen wird immer schmale und an geeigneter Stelle trete ich hinaus ins Freie. Eine Familie mit Mutter, Vater, Kind radelt an mir vorbei. Meine Richtung. Ich folge ihrem Weg. Hinterm Straßenbahnbetriebsbahnhof muss ich wieder eine große Straße überqueren. Ich benötige zwei Ampelphasen, da ich mit der ersten nur bis zur Mittelinsel gelande. Auf der anderen Seite gelandet, peile ich sofort den nächsten Park in den darin stehenden Gipfel der Ahrensfelder Berge an. Ein älterer Herr mit grauen, langen, lockigen Haaren joggt in den Park hinein und den Berg hinauf. Anfangs folge ich ihm, bis ich wieder die Abkürzung querfeldein, statt dem gewundenen Weg hinauf, wähle. Wir erreichen beide gleichzeitig den Gipfel.
Der Ahrensfelder Berg ist in höheren Schichten nicht so stark bewachsen wie der Kienberg. Oben ist er absolut kahl, und wenn man nicht wüsste, dass man trotzdem nur 120 Meter über dem Meeresspiegel ist, könnte man glauben man hätte 1200 Meter geschafft. Durch die fehlende Vegetation eröffnet sich ein 360-Grad-Rundumblick. Hier pausiere ich, suche mir eine kleine Bank, lasse mir ein leichtes Lüftchen um die Nase wehen und genieße die Sonnenstrahlen, die auf der Nasenspitze kitzeln. Hier hat man den besten Blick über Marzahn. Überall Neubauten, soweit das Auge reicht.
Ich müsste nun knapp die Hälfte der geplanten Strecke zurückgelegt haben. Und sollte ich den Wegweisern glauben schenken, so lägen ungefähr 6 Kilometer Strecke hinter mir. Nur 6 Kilometer, frage ich mich und zweifle. Ein Streckenrekord wird das dann heute wohl nicht mehr.

Die Geschichte ist noch nicht zu Ende ... aber jetzt brauche ich auch erstmal eine Schreibpause. Wenn es mich wieder packt, dann geht es weiter. ;-)

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Irrlichter kommentieren

krass. junge. glückwunsch.
krass. junge. glückwunsch.
meliterature - 24. Sep, 19:45
Na klar, immer alles...
Na klar, immer alles meins. ;-) Ich schau mal bei dir...
pinolino - 14. Sep, 14:34
deins? hmm. lange nicht...
deins? hmm. lange nicht mehr mit gedichten beschäftigt....
meliterature - 14. Sep, 08:47

Leselichter

Lichterscheinungen

An meine Liebe
Buch: "An meine Liebe"


Gedicht: "Vogel von der Trauerweide"


Kurzgeschichte: "Jugendliebe"

Suche

 

Status

Online seit 6063 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 24. Mär, 12:40

Credits

Knallgrau New Media Solutions - Web Agentur f�r neue Medien

powered by Antville powered by Helma


xml version of this page
xml version of this topic

twoday.net AGB


erblickt
erdichtet
erheitert
erlebt
erlesen
erleuchtet
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren