Sonntag, 14. Oktober 2007

Zwei Bänke und ein Kinderwagen.

Eine Elster fegt durch das Laub. Mit gehobener Schwanzfeder setzt sie zur Landung an und bremst geschmeidig ab. Silbrig bunt glänzt ihr dunkelschwarzes Gefieder in der schwachen Sonne. Hinter dem Kopf und auf der Brust trägt sie ein weißes Kleid, im Schnabel trockene Brotkrumen. Ein großes Stück fällt zu Boden. Das Kleinere behält sie fest im Griff und hüpft über gelb und braun bedeckte Wiesen. An geeigneter Stelle hält sie inne, schiebt mit einem kräftigen Ruck das Brotstück unter die Grasnabe, und versteckt es sogleich unter vertrockneten Blättern, die sie mit ihrem Schnabel zurecht rückt. Reserve für hungrige Zeiten. Doch das vermeintliche Glück währt nur so lange, bis eine kräftige Windböe knapp über den Boden hinwegfegt und das lose Blattwerk zerstäubt.
Zurück zum Platz, an dem das große Brotstück liegt, wiederholt sie diese Prozedur einige Male, zerkleinert das Brot in appetitliche Happen und verteilt die Krumen sternförmig um den Ausgangspunkt herum. Immer wieder findet sie das allmählich schwindende Brot, bis es vollständig und gut unter der Erde verstaut ist. Mit zufriedenem Geschnatter hebt sie ab und gesellt sich in der Ferne zu ihres gleichen.

Ein altes Ehepaar steht plötzlich mit Rad, doch ratlos, neben der Bank rechts von mir. Sie sind unschlüssig darüber, ob sie sich neben mich setzen sollen oder eine andere Bank wählen. Die Tatsache, dass die beiden Bänke die einzigen in der Sonne befindlichen sind, erleichtert ihren Entschluss. Sie setzen sich.
Ich halte Zettel und Stift in der Hand. Versuche zu schreiben. Anfangs reden sie noch. Es fällt mir schwer, mich zu konzentrieren. Die Gedanken kreisen. Aber die Sonne besänftigt, der Herbst beruhigt, der Atem kaum sichtbar. Die Alten verstummen und lauschen der Natur - ebenso wie ich.

Aus dem Nichts taucht dann ein Kinderwagen von links her auf. Ein Mann schiebt ihn ganz allein. Sein Schritt verlangsamt sich. Er hält an meiner Bank und findet zu meiner linken Seite Platz, da ich genau in der Mitte sitze. Ich schaue kurz von meinem Zettel auf. Im Kinderwagen liegt ein kleines Kind. Ein schlafender Junge. Gut eingepackt in wärmende Decken. Ich schreibe weiter.
Keine zwei Minuten, nachdem sich der Vater wortlos zu mir gesellt hat, brubbelt er, dass die Laterne, die links neben unserer Bank steht, ihm die Sonne raube. Ein schmaler Laternenpfahl von nicht einmal zehn Zentimetern Dicke.
Erneut steht er auf, schiebt den Kinderwagen zwei Meter weiter nach rechts, und setzt sich wieder auf meine Bank. Nur diesmal zu meiner Rechten. Nun scheint er zufrieden.
Die beiden Alten fahren bald mit ihrem Rad weiter und ich rechne fest damit, dass er auf die frei gewordene Bank rücken wird. Er tut es nicht, was mich auch nicht stört. Ich merke nur, wie sein Kopf zur Seite knickt. Ein Blick. Seine Augen sind geschlossen. Er schläft. So wie der Kleine im Wagen, in den ich jetzt nicht mehr hinein sehen kann, aber deutlich ein schnaufendes, schnarchähnliches Geräusch höre.

Nachdem die Kirchenuhr im Rücken schon zum zweiten Mal geläutet hat und mein Banknachbar jedesmal leicht erschrocken über seinen eigenen Schlaf zusammen zuckte, beende ich mein Schreiben. Über die Wiese kommt eine junge Frau mit einer prall gefüllten Tüte direkt auf die Bank zu. Diesen Moment warte ich noch ab, es ist vermutlich die Frau zum Kind. Aber nein. Sie zieht kurz vorher an uns vorbei. Ich packe Zettel und Stift ein, erhebe mich und verabschiede mich mit einem einsilbigen Gruß.

Mondscheinblüte.

Der Mond schien auf die Blüte,
Die blüht' im Mondenschein.
Und diese Blüte blühte
Im Mondenschein allein.

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Irrlichter kommentieren

krass. junge. glückwunsch.
krass. junge. glückwunsch.
meliterature - 24. Sep, 19:45
Na klar, immer alles...
Na klar, immer alles meins. ;-) Ich schau mal bei dir...
pinolino - 14. Sep, 14:34
deins? hmm. lange nicht...
deins? hmm. lange nicht mehr mit gedichten beschäftigt....
meliterature - 14. Sep, 08:47

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An meine Liebe
Buch: "An meine Liebe"


Gedicht: "Vogel von der Trauerweide"


Kurzgeschichte: "Jugendliebe"

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