Wanderungen.
Wolfgang Büscher: Berlin-Moskau
Diejenigen, die mich schon eine Weile kennen, wissen genau, dass ich eine gewisse Zuneigung für Russland, insbesondere Moskau, empfinde. Und so bekam ich vor einiger Zeit von einer guten Freundin das Buch "Berlin-Moskau" geschenkt. Es ist in der Spiegeledition als Sonderausgabe erschienen und ist von vielen Seiten stets gelobt worden.
Ich las das Buch, nachdem ich aus Moskau zurückgekehrt war, und war besonders begierig darauf, wie es ist, wenn man die Strecke von Berlin nach Moskau zu Fuß zurücklegt und welche sonderbaren Begegnungen mit Menschen dabei erleben kann. Der Autor Büscher hat sich in dieses Abenteuer gestürzt, nur mit einem Rucksack und etwas Geld in der Hosentasche. Leider beginnt für mich das Buch etwas zäh, da bei seinen Wanderungen durch die Länder Deutschland und Polen fast immer nur der Krieg im Vordergrund steht. Der Autor läuft den Weg, den auch die Gefangenen und Verschleppten im Weltkrieg gegangen sind. Es tauchen für meinen Geschmack zuviele historische Fakten und Fragen auf, die die Stimmung der Wanderung nicht so gut einfangen können. Es wirkt so, als wäre nicht die Wanderung und die Begegnung mit Menschen die Hauptsache, sondern die Verarbeitung der Erlebnisse der deutschen Geschichte.
Je näher aber Büscher seinem Ziel Moskau kommt, und bald durch Weißrussland und die russische Förderation wandert, desto interessanter werden die kleinen Geschichten von der Straße und den dort lebenden Menschen. Aber der Hälfte des Buches kann man endlich den Geist des Wanderers fühlen, man wirkt wie beflügelt und schafft es dann im Fluge bis zur letzten Seite. Moskau.
Die Entfernung der Reise betrug etwa 2000 km. Berlin-Moskau. Fast vollständig zu Fuß, nur selten mit einem Hilfsmittel, wie Auto oder Zug, zurückgelegt. Und als hätte Büscher noch nicht genug von der Wanderung, endet er mit dem Satz: "Was machen wir jetzt?". Wer könnte ihn nicht verstehen?
Andreas Altmann: 34 Tage, 33 Nächte
Nachdem ich "Berlin-Moskau" gelesen hatte, war ich auf den Geschmack gekommen und wollte mehr davon verzehren. Wandern. Wandern. Erleben. Und da erinnerte ich mich, dass ich unlängst ein anderes Buch erstanden hatte, das auch eine solche Wanderung beschrieb. Nur in diesem von Paris nach Berlin.
Altmann ließ sich von seinem Verleger dazu bringen, dass er die Reise vollständig ohne Geld meistern müsse. Aber war es ihm erlaubt, sich, auf welche Weise auch immer, etwas zu verdienen oder auch zu erbetteln. Im Laufe der Reise sammelt Altmann seine Erfahrungen, die ihm zu bedeuten geben, was es heißt, ohne Geld auszukommen. Auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen zu sein, die einem oft untersagt wird. Allein schon wegen des äußeren Erscheinungsbildes. Ganz besonders in Erinnerung geblieben ist mit seine Schilderung einer Begegnung in Deutschland. Altmann landet irgendwo in einem kleinen Dort, es regnet aus Eimern, er ist völlig durchnäßt. Auf der zweifelhaften Suche nach einem trockenen Schlafplatz landet er in einer Scheune, in die er sich hinein geschlichen hat. Doch dann wird er dort von jungen Frau, einer Studentin entdeckt. Doch anstatt ihn schimpfend fortzujagen, bietet sie ihm so viel Gegenliebe, dass einem der Atem stockt. Sie versorgt ihn vor Ort in der Scheune mit Essen aus dem Haus ihrer Eltern. Zu später Stunde kommt sie dann mit einem Auto zurück, bittet ihn einzustiegen und fährt zu ihrer eigenen kleinen Wohnung. Er darf in ihrer Wanne baden und in ihrem Bett schlafen. Es klingt tatsächlich wie ein Märchen. Und dann taucht auch noch der Freund von ihr, ich glaube sie hieß Anne, dann taucht also noch der Freund von Anne auf und hat größtes Verständnis, dass dieser geschundene Fremde in dem Bett seiner Freundin schläft.
Sprachlich ist Altmann nicht ganz so gewandt wie Büscher. Oft werden die Begebenheiten sehr skizzenhaft gezeichnet und die Formulierungen wiederholen sich stark. Knappe Sätze folgen einander wie in einem Notizbuch. Und manchmal, mit Verlaub, wirkt die Schreibweise gar arrogant. Aber trotzdem war es eine gute Geschichte, mit einem leider ziemlich mauen Ende. Denn das Erreichen des hochgelobten, gepriesenen Berlins, der erhoffte Stolz über die vollbrachte Leistung geht in der Aufzeichnung eines Interviews unter. Immerhin, die Bilanz ist beachtlich: "Nach 1863918 Schritten, nach siebzehn Blasen, nach 217 Pumps, nach 3647 verlorenen Gramm Körperfleisch, nach 34 Tagen und 33 Nächten... bin ich am Ziel."
Michael Holzach: Deutschland umsonst
Nach diesen beiden Geschichte wollte ich alles wissen und begab mich auf die Suche nach Wanderliteratur. Schnell wurde ich fündig, gibt es doch so einige. Nur in Europa nicht allzu viele. So gab es eine Wanderung von München nach Paris, deren Buchauflage jedoch nahezu ausverkauft war und für rund 100 Euro hätte erstanden werden können. Zuviel für meinen Geldbeutel. Aber dann stieß ich auf Michael Holzach und "Deutschland umsonst".
Holzach wanderte in den 80er Jahren von Hamburg nach München. Zu Fuß und ohne Geld durch ein Wohlstandsland. Zu Zeiten des geteilten Deutschland. Doch er macht seine Reise nicht allein, sondern mit einem Hund namens Feldmann, den er aus einem Tierheim holt. Die Wanderung mit Holzach ist so plastisch und aufregend geschrieben, dass sie von diesen drei Geschichten hier für mich ohne Frage die herausragendste ist. Der Autor besucht Stätten und Städte, die sein Leben geprägt haben, von der Kindheit, Jugend, Armee bis zum damaligen heute. Stets begleitet von seinem treuen Gefährten Feldmann. Durch lustige und bizarre Situationen. Und zum Ende schließt sich der Kreis. Holzach wandert von München, dort wo sein Mutter lebt, zurück, weil er kein Geld mehr für den Fahrschein nach Hamburg hat.
Recherchen über den Autor ergaben, dass Holzach bei dem Versuch, seinen Hund Feldmann aus einem Fluss zu retten, stirbt. Der Hund überlebt. Holzach ertrinkt, weil er nicht schwimmen konnte.